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Gestörte Zellatmung führt zu Erkrankungen des Bewegungsapparates

Die Arbeitsgruppe von Prof. Bent Brachvogel identifiziert die mitochondriale Atmungskette als ein neues therapeutisches Ziel zur Behandlung von Störungen im Aufbau der extrazellulären Matrix bei degenerativer Knorpelerkrankungen.

Knorpelgewebe wird durch gestörten Energiestoffwechsel in den Zellen falsch aufgebaut / Forschungsgruppe der Medizinischen Fakultät publiziert Ergebnisse im „Journal of Biological Chemistry“

Ein Team um Professor Dr. Bent Brachvogel, Leiter der Experimentellen Neonatologie an der Kölner Universitätsmedizin, hat in einer neuen Studie bisher unbekannte regulatorischen Mechanismen der Gewebeorganisation entdeckt. Erstautorin der Studie und approbierte Pharmazeutin Kristina Bubb hat in Brachvogels Team gemeinsam mit weiteren Forschenden Veränderungen in der sogenannten extrazellulären Matrix (EZM) untersucht und einen Zusammenhang zwischen der mitochondrialen Atmungskette (eine Reihe von Reaktionen in den Zellen) und dem Gleichgewicht in der EZM hergestellt. Die Studie „Mitochondrial respiratory chain function promotes extracellular matrix integrity in cartilage“ ist in der Fachzeitschrift Journal of Biological Chemistry erschienen.

Muskuloskelettale Erkrankungen sind weltweit die führende Ursache von chronischen Schmerzen und Mobilitätsverlust. Beides schränkt die Lebensqualität von Menschen erheblich ein. Häufig führen frühkindliche Störungen oder altersbedingte Veränderungen in der extrazellulären Matrix zu langfristigen chronischen Erkrankungen und Fehlfunktionen des Bewegungsapparates. Eine Veränderung in der EZM kann beispielsweise zu Arthrose und Osteoporose führen.

Die EZM bezeichnet den Gewebeanteil zwischen den Zellen im sogenannten Interzellularraum, hauptsächlich im Bindegewebe. Sie wird von den Zellen produziert, bettet sie ein und bildet das stabilisierende Gerüst des Gewebes. Da die Zusammenhänge zwischen Störungen in der EZM und muskuloskelettalen Erkrankungen jedoch weitgehend ungeklärt sind, gibt es bislang nur unzureichende Behandlungsoptionen. Das Forschungsteam entdeckte, dass die mitochondriale Atmungskette im Knorpelgewebe eine Schlüsselfunktion in der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts (Homöostase) der EZM spielt. Die Atmungskette ist ein Teil des Energiestoffwechsels von Zellen:  Nacheinander findet in den Mitochondrien, den „Kraftwerken der Zellen“, eine Reihe von biochemischen Reaktionen statt, die Lebewesen zur Energiegewinnung dienen. Das kann die Integrität und mechanische Stabilität der EZM im Knorpel – und vermutlich auch in vielen anderen Geweben – beeinflussen.


Die Forschenden wiesen im Modellorganismus nach, dass eine Dysfunktion der mitochondrialen Atmungskette in Knorpel mit einer postnatalen Verzögerung des Skelettwachstums einhergeht. Zur weiteren Untersuchung der molekularen Zusammenhänge bedienten sich die Wissenschaftler:innen neuester Sequenzier- und Messtechniken: Sie wendeten einen kombinierten Ansatz aus hochauflösender scRNA-Sequenzierung, Massenspektrometrie und Elektronenmikroskopie zur Untersuchung knorpelspezifischer Inaktivierung der Atmungskettenfunktion an. Dabei entdeckten sie, dass der Verlust der mitochondrialen Atmung im Knorpel zu einer Desorganisation und Ausdehnung des Gewebes führt sowie zu einer Versteifung der Knorpelmatrix. Dies wurde durch eine gestörte metabolische Signalübertragung verursacht, die sekundär die Zusammensetzung und die mechanischen Eigenschaften des Knorpelgewebes veränderte.


Das Forschungsteam ist überzeugt, dass die Untersuchungsergebnisse ein bedeutender Meilenstein zum besseren Verständnis muskuloskelettaler Erkrankungen sind. Mittel- und langfristig könnten sie die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze voran­treiben. Professor Bent Brachvogel, unter anderem Sprecher der DFG-Forschungsgruppe FOR2722 „Neue molekulare Faktoren der muskuloskelettalen extrazellulären Matrix Homöostase“, sagt: „Der Energiestoffwechsel der Zelle ist von großer Bedeutung für die Produktion der extrazellulären Matrix, aber die Wechselwirkungen zwischen diesen Komponenten sind bisher nur unzureichend bekannt. Wir konnten zum ersten Mal die Bedeutung der mitochondrialen Atmungskette als wesentlicher Energielieferant für die extrazelluläre Matrix-Homöostase im Knorpel nachweisen.“

Kristina Bubb fügt hinzu: „Unsere Forschung hat die mitochondriale Atmungskette als ein neues therapeutisches Ziel zur Behandlung von Störungen im Aufbau der extrazellulären Matrix bei degenerativer Knorpelerkrankungen identifiziert.“

Auf Basis dieser Erkenntnisse sollen nun die genauen molekularen Zusammenhänge zwischen dem Energiestoffwechsel der Zelle, der EZM-Homöostase und der Entstehung muskuloskelettaler Erkrankungen geklärt werden. Die Ergebnisse werden zukünftig in die Entwicklung neuer Behandlungsstrategien degenerativer Erkrankungen des Bewegungsapparates einfließen.
 

Inhaltlicher Kontakt:
Professor Dr. Bent Brachvogel
Experimentelle Neonatalogie, Universität zu Köln und Universitätsklinikum Köln
bent.brachvogelSpamProtectionuni-koeln.de

Presse und Kommunikation:
Stephanie Wolff 
Referentin Öffentlichkeitsarbeit/Kommunikation
Dekanat der Medizinischen Fakultät
stephanie.wolffSpamProtectionuk-koeln.de

Link zur Studie:

https://www.jbc.org/article/S0021-9258(21)01027-9/fulltext

 

Pressemitteilung der Universität zu Köln